Klaus Hurrelmann im DKMS-Talk
Generationenforscher Prof. Klaus Hurrelmann über die jungen Menschen unserer Zeit
Am 28. Mai 2019 findet der jährliche World Blood Cancer Day (WBCD) statt, an dem Menschen weltweit ein Zeichen der Solidarität mit Blutkrebspatienten setzen. In diesem Jahr richtet sich der Hilfsappell insbesondere an junge Menschen und so hat die DKMS beispielsweise in Erfurt im Rahmen des DKMS-Schulprogramms dazu aufgerufen, den Kampf gegen Blutkrebs zu unterstützen. Über die Wichtigkeit dieses frühzeitigen Engagements hat die DKMS im Rahmen der Themenwoche „Für unsere Spender von morgen“ mit dem renommierten Generationenforscher Prof. Klaus Hurrelmann gesprochen.
Prof. Hurrelmann, wir als DKMS fokussieren seit 2018 verstärkt die junge Zielgruppe im Alter von 17 bis 31 Jahren, um sie zu einer Registrierung als Stammzellspender zu motivieren. Nun möchten wir gerne von Ihnen wissen: Was denken Sie, wie der junge Mensch dieser Altersklasse tickt im Jahr 2019? Was ist ihm besonders wichtig? Und was weniger?
Also grundsätzlich muss man sagen, es gibt nicht den jungen Menschen, den jungen Mann, die junge Frau, sondern das unterscheidet sich natürlich nicht nur individuell, sondern ganz stark auch nach sozialen Gruppen, also nach Herkunft, Region, Bildungstand. Das ist ganz wichtig zu bedenken. Trotzdem kann man natürlich erkennen, was gerade für junge Leute in ihrer Mehrheit sehr wichtig ist. Das sind heute all die Dinge, die mit Lebensqualität zu tun haben. Also: Man möchte arbeiten, aber man möchte sich nicht überarbeiten. Arbeit soll vor allem Freude machen und zu Erfüllung führen. Da hat sich etwas ganz stark verschoben: Nicht mehr das Materielle steht im Vordergrund, das soll zwar stimmen, aber das ist nicht das Entscheidende, wonach man zum Beispiel seinen Arbeitsplatz auswählt, sondern eher das Immaterielle. Das heißt zum Beispiel auch, dass alles, was mit Umwelt zu tun hat, einen sehr hohen Stellenwert hat, wir sehen das gerade ganz aktuell durch Klima-bezogene Demonstrationen von Schülerinnen und Schülern. Das sind dann tatsächlich die unter 18-, unter 20-jährigen, die hier besonders politische Aktivität zeigen, und sich sozial engagieren. Insgesamt haben wir es also mit einer jungen Generation zu tun, die weiß, dass sie gefragt ist am Arbeitsmarkt, sich ein bisschen zurücklehnen kann und sich dabei auf Dinge konzentriert, die etwas mit der Verbesserung der Lebensqualität zu tun haben.
Wie wertebewusst ist denn diese Generation, die wir jetzt angesprochen haben im Hinblick auf gesellschaftliche Verantwortung?
Das ist nicht übermäßig ausgeprägt. Aber in der Tat sind die unter 20-Jährigen politisch wieder stärker interessiert, als die über 20-jährigen. Aber wohin geht dieses Interesse? Wie äußert es sich? Das wissen wir noch nicht. Es geht wahrscheinlich nicht in Richtung der bestehenden Parteien, auch die Orientierung am bestehenden demokratischen System ist nicht überwältigend groß. Die Beteiligung an Wahlen ist weit unterdurchschnittlich im Vergleich zu den anderen Generationen und Bevölkerungsgruppen. Aber was man sagen kann: Alles was im überschaubaren Bereich ist und wo man weiß, was man für Partner hat, funktioniert. Also in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in der Schule, da wo man die Menschen kennt, da wollen sich junge Menschen engagieren. Das ist vor allem mehr und mehr in den sozialen Netzwerken der Fall – mal Online-Petitionen mit unterschreiben oder sie auch initiieren. Da geschieht etwas, aber es ist keine am Gemeinwohl orientiert handelnde Generation. Sie denkt sehr stark erst einmal an sich selbst und ihre persönlichen Interessen und Bedürfnisse.
In der Shell-Jugendstudie 2015, die Sie mitveröffentlicht haben, kann man zusammenfassend sagen: Die Werte, die an erster Stelle stehen, sind Werte wie Freundschaft, Familie, Partnerschaft und Sicherheit. Wie wichtig ist denn das Thema Gesundheit für junge Erwachsene?
Das Thema kommt. Es hat in den vergangenen Jahren immer mehr an Boden gewonnen. Da muss man aber wiederum genau hinschauen: Das heißt nicht, dass man sich nun plötzlich nur noch gesund ernährt und sich nur noch viel bewegt und einen ganz ausgeruhten Tagesrhythmus hat, das fällt auch den jungen Leuten sehr schwer. Aber es sind ganz viele Gruppen bei den jungen Leuten, die sich für eine gesunde Ernährung einsetzen, dabei den Umweltaspekt im Auge haben, also vegetarische oder vegane Ernährung, weil gleichzeitig die Tierwelt geschont wird und weil damit klimapolitische Ziele erreicht werden können. So etwas beschäftigt große Teile der jungen Leute.
Man kann erkennen, dass Fitnessstudios einen großen Zulauf insbesondere bei jungen Männern haben. Sie möchten fit sein und betrachten das zwar nicht unbedingt als gesund sein, aber sie möchten stabil sein, lebendig sein und gut aussehen. Noch etwas fällt auf: Die Alltagsdrogen Zigaretten und Alkohol verlieren immer mehr an Boden. Es gibt immer mehr Gruppen bei den jungen Leuten, die sind hier sehr zurückhaltend. Wir haben zum Beispiel noch nie so wenige Raucher gehabt, wir haben noch nie so wenige Alkoholtrinker– zum Beispiel auch regelmäßige Alkoholtrinker – in dieser Altersgruppe gehabt. Also Gesundheit ist ein Thema, es kommt langsam und es ist sicherlich ein Aspekt, an den man anknüpfen kann mit Kampagnen, mit denen die DKMS Menschen motivieren möchte.
Denken denn junge Menschen überhaupt darüber nach, dass man selbst oder ein Familienmitglied – wie zum Beispiel im Fall von Blutkrebs – von heute auf morgen lebensbedrohlich erkranken kann? Und kann das überhaupt ein Trigger sein, etwas Gutes tun zu wollen und sich als Stammzellspender zu registrieren? (Ist das etwas, was junge Menschen überhaupt wahrnehmen oder fühlen sie sich eigentlich so autark und stark und unverletzlich, dass das überhaupt keine Rolle spielt?)
Ja, das ist naturgemäß der Fall, man fühlt sich als unter 20-Jähriger natürlich topfit und in dem abstrakten Sinn, wie wir das gerade diskutieren, gesundheitlich im Grunde widerstandsfähig, es kann einem eigentlich nichts passieren. Man hat die Kräfte, alle Gefahren können abgewehrt werden, so glaubt man. Das ist eine sehr, sehr robuste Haltung und die muss berücksichtigt werden, weil eben die junge Generation per se erst einmal im Inbegriff und im Umfang ihrer körperlichen und psychischen Kräfte ist. Aber die Sensibilität dafür, dass Menschen krank werden können, die ist da. Es ist eine emphatische, junge Generation und die muss dann auch auf der empathischen, der emotionalen Ebene gewonnen werden. Um das zu erreichen, müssen sehr konkrete, sehr anschauliche Beispiele her: Wie sieht denn so eine Krankheit wie Blutkrebs aus? Was ist das? Wer wird davon betroffen? Welche Konsequenzen hat das? Das in konkreten Beispielen zu demonstrieren – und das nicht mit erhobenem Zeigefinger – sondern einfach nur als Lebenserfahrung, das ist sicherlich etwas, das junge Leute sehr stark anspricht.
Wofür setzen sich junge Menschen denn – wenn – gerne mit Herzblut ein?
Sie setzen sich dafür ein, dass die Welt besser wird im Bereich Konsum, Ernährung, Umwelt, Reisen. Sie möchten Verkehrsmittel nutzen, die jeweils die umweltfreundliche Variante stärken, sind auch dafür, dass das gesetzlich entsprechend geregelt wird. Sie sind gesundheitsbewusst in einem begrenzten Maße, aber stärker als die älteren Generationen, sind also auch bereit, für die Stabilisierung ihrer Gesundheit das eine oder andere zu tun – im Bereich Ernährung, im Bereich Bewegung. Und im sozialen Sektor sind sie pragmatisch. Sie sind offen, aber keine großen politisch bewegten Leute. Das kann sich jetzt bei den Jüngsten ändern, da haben wir eine deutliche Tendenz, dass sich wieder was bewegt (s.o.). Insgesamt aber haben wir es mit einer jungen Generation zu tun, die offen und interessiert ist, aber sich nicht per se sozial für das Allgemeinwesen engagiert, sondern sie muss aktiv gewonnen werden. Sie ist skeptisch, sie weiß aus den sozialen Netzwerken, wie viele Fallen es gibt, wie man ausgebeutet werden kann, deswegen geht sie durchaus vorsichtig vor und ist sehr zurückhaltend bei allem, wo sie direkt angesprochen wird, wo sie irgendwelche persönlichen Daten von sich geben soll oder eben auch, wo sie eine Speichelprobe von sich geben soll. Also das ist hochintim und muss entsprechend auf einer sehr transparenten Basis mit hohem Vertrauensanspruch daherkommen.
Unsere aktuellen Plakatmotive nutzen ja die Form der direkten Ansprache und spielen mit dem Heldenmotiv. „Willst du ein Held sein?“, „Willst du Gutes tun?“. Sehen sich junge Männer gerne in einer Heldenrolle?
Dieses Motiv spricht wahrscheinlich einige junge Männer an, Frauen wahrscheinlich lange nicht so stark und auch längst nicht alle Männer. Wir haben bei den Männern schon eine Veränderung jetzt der Geschlechtsrolle, sie eifern den jungen Frauen endlich nach und öffnen ihre Geschlechtsrolle, gehen also aus dem alten Klischee heraus: „Der Mann, der Starke, der Mächtige, der Einflussreiche, der sich nicht um seine Gesundheit kümmern muss“. Das weicht sich auf, man merkt, dass man sich sehr wohl um seine eigene Gesundheit kümmern muss – Stichwort Fitness, wie eben angesprochen. Die jungen Männer merken, dass das heute eine andere Welt ist. Die sehen ja auch neben sich die jungen Frauen, die sehr stark geworden sind und sie in Bildungsabschlüssen überholt haben, ihnen bei beruflichen Karrieren dicht auf den Fersen sind oder manchmal sogar schon vor ihnen sind. Also die Männerrolle verschiebt sich. Das klassische Heldenmotiv spricht deshalb eher den traditionellen Mann an, der immer noch da ist, vielleicht auch noch dominant ist, auch in der jungen Generation. Sie spricht aber sicher nicht den sensiblen, offenen jungen Mann an. Der möchte angesprochen werden auf der Ebene, dass er etwas Gutes tut, indem er empathisch ist und nicht als Held auftritt, sondern etwas macht, das anderen konkret hilft. Dieser Typ Mann möchte allerdings auch ganz genau wissen, worum es geht: Der möchte wissen, was ist Blutkrebs? Der möchte wissen, was ist mit diesem Stäbchentest zur Registrierung? Was bedeutet das? Der möchte, wenn er da die Abkürzung DKMS sieht, wissen, wofür die Abkürzung steht. Der möchte da ein Icon/QR-Code o.ä. haben und da sein Handy dranhalten und dann sehen „Ach, die sind das!“ und der möchte eine direkte Transparenz haben.
Vielleicht gilt das übrigens auch für die erste Gruppe der Männer, die sich durch das Stichwort Helden angesprochen fühlt. Beide wollen wissen: Wer spricht mich hier an? Wer steckt dahinter? Ist das koscher? Ist das fair? Ich will das rekonstruieren können.
Wir haben einen großen Schatz von jährlich weit über 15.000 ehrenamtlichen Helfern, darunter auch immer mehr viele junge Menschen, die uns bei den Registrierungsaktionen vor Ort unterstützen. Zum Beispiel gerade Studierendenorganisationen an den Universitäten oder Schüler an weiterführenden Schulen oder Berufsschulen. Das ist ein tolles Engagement. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung/Trend?
Die Gruppe, die sie da erwähnen, die ist im Moment – das war früher vielleicht sogar noch etwas stärker – diejenige, die über ihre hohe Bildung eine hohe Sensibilität entwickelt und damit auch Einsicht in solche sozialen Zusammenhänge hat. Diese Gruppe kann sich das Schicksal von Blutkrebspatienten vorstellen, sie ist bereit sich zu engagieren: Das sind alles sehr hoch motivierte junge Leute, darunter auch Männer. Sie als DKMS wollen aber ja alle erreichen, sie wollen auch die erreichen, die nicht zu diesen „Überfliegern“ gehören, sondern ganz einfache Ausbildungen machen und in ganz reguläre Berufe einsteigen. Und wie gesagt, da muss man einfach darauf setzen, dass die Botschaft klar, einfach und transparent ist, dass an die Hilfsbereitschaft appelliert wird.
Sie sind ja Mitverfasser und Mitherausgeber der Shell-Jugendstudie. Wann erscheint denn die nächste, auf die wir schon ganz gespannt sind?
Die nächste Shell-Jugendstudie erscheint am 15. Oktober 2019.
Und, dürfen Sie schon verraten, wie Ihre Erkenntnisse sind? Dürfen wir zufrieden mit unserer jungen, nachwachsenden Generation sein?
Insgesamt ist das der Fall, ja. Die Vorurteile, die so oft in der älteren Generation sind, zerfallen meist in sich, beziehungsweise sind nur berechtigt bei einem Teil der jungen Leute. Wir können überhaupt nicht leugnen, das ist ja immer auch ein Ergebnis von solchen Studien, wie der Shell-Jugendstudie, das wirklich ein Fünftel echte Schwierigkeiten hat, mit sich, ihrem Leben, ihrer Bildung, ihrem Beruf, ihren Beziehungen zurecht zu kommen, und da gibt es auch Schwierigkeiten, bis hin zu Gesundheitsproblemen und sozialer Integration. Aber das ist eine Minderheit. Bei der große Mehrheit, rund 80 Prozent, handelt es sich um wirklich sehr, sehr aufgeschlossene, interessierte junge Menschen, die wie besprochen, einen besonderen Akzent im Bereich Umwelt und einen kleinen, neuen Akzent im Bereich Gesundheit setzen.
Vielen Dank, Herr Professor Hurrelmann! Wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.