Das Beste, was ich in meinem Leben getan habe
Christin Bouvier aus Schwerin rettete das Leben des kleinen Alfie – jetzt lernten sich die beiden in London kennen
Ein kleiner Junge, zwei Frauen, eine Bühne in einem Londoner Rathaus. Zahlreiche Gäste sehen zu, wie die eine Frau mit dem Kind auf dem Arm die andere Frau weinend in den Arm nimmt. Die Gäste klatschen, dann ist es mucksmäuschenstill. Für die drei Menschen auf der Bühne, die sich heute zum ersten Mal begegnen, ist es einer dieser Momente, von denen sie noch Jahre später erzählen werden. Lorna Commons und ihr vierjähriger Sohn Alfie dürfen eine ganz besondere Frau treffen: Christin Bouvier aus Schwerin rettete dem schwerkranken Jungen mit ihrer Stammzellspende das Leben.
Erst sieben Monate war der kleine Alfie alt, als seine Eltern von der niederschmetternden Diagnose „akute lymphatische Leukämie“ erfuhren. Das Leben des kleinen Jungen aus Nottingham hatte gerade erst begonnen – und musste schon solch eine Hürde nehmen. „Wir waren untröstlich“, erzählt Mutter Lorna. „Unsere Welt wurde komplett aus den Angeln gehoben. Ich war erschüttert, dass mein unschuldiges Baby Krebs hatte.“
Drei Blöcke Chemotherapie brachten nicht die erhoffte Wirkung; die Ärzte waren ratlos angesichts des jungen Alters ihres kleinen Patienten. Schließlich entschieden sie sich zu einer Immuntherapie, die das Wachsen der Krebszellen so weit eindämmte, dass Alfie gesunde Stammzellen transplantiert werden konnten. Sein genetischer Zwilling war Christin, eine Lehrerin aus Deutschland: „Als ich erfahren habe, dass der Empfänger meiner Stammzellen ein Baby war, habe ich einfach nur geweint. Ich kann diesen Moment bis heute nicht in Worte fassen. Mir liefen unzählige Freudentränen über die Wangen. Wann immer es mir nicht gut geht, denke ich an diesen Moment zurück!“
Freudentränen gab es dann auch wieder, als Alfie und seine Mutter Lorna im Rathaus von Chiswick in London Christin (34) in die Arme nehmen konnten. „Danke, dass du meinem Sohn ermöglicht hast weiterzuleben“, sagt die 40-jährige Mutter leise. „Die Welt braucht mehr Menschen wie dich!“ – „Es war so einfach für mich“, erwidert Christin bescheiden. „Es war wirklich keine große Sache!“
Mehr als zwei Jahre lang hatten sich die beiden Frauen zuvor bereits geschrieben – und waren dennoch beide sehr aufgeregt vor der ersten Begegnung. „Christin heute hier zu treffen, fühlt sich surreal an“, beschreibt Lorna ihre Gefühle. „Sie ist der einzige Grund, weshalb Alfie noch hier ist.“
Dass die anwesenden Besucher geklatscht haben, daran erinnert sich Christin nicht mehr. „Ich habe alles um mich herum ausgeblendet, habe nur Alfie und Lorna gesehen.“ Und Alfie? Der Vierjährige blieb zunächst schüchtern auf Mamas Arm und taute dann mehr und mehr auf. Christin hatte ihm als Geschenk ein Dinosaurier-Memory mitgebracht. „Wir haben uns später richtig toll über Dinosaurier unterhalten“, sagt sie lachend. „Und über Pommes. Die liebt er.“ Nach einem gemeinsamen Nachmittag mit Kuchen und innigen Gesprächen zwischen Mutter und Spenderin gab Alfie seiner Spenderin dann sogar ein beherztes „High Five“.
„Die Stammzellspende war so ein einfacher und unkomplizierter Vorgang – und nichts im Vergleich zu dem, was Alfie und seine Familie durchgestanden haben“, sagt Christin, die Biologie und Philosophie an einem Gymnasium unterrichtet. „Ich konnte ihnen in dieser fürchterlichen Zeit beistehen und Alfie dabei helfen, den Krebs zu besiegen. Es ist das Beste, was ich in meinem ganzen Leben getan habe.“
Für alle steht nach dieser ersten Begegnung fest, dass sie weiter in Kontakt bleiben möchten. „Alfie darf jetzt fliegen“, weiß Christin. Deshalb werden er und seine Familie Christin voraussichtlich im Oktober in Deutschland besuchen. „Es wird für mich nichts Schöneres geben, als zu sehen, wie er sich entwickelt.“
Und auch für die DKMS will Christin weiter im Einsatz bleiben. Sie plant bereits die zweite Registrierungsaktion für ihre Schüler. Somit wird auch sie gemeinsam mit der DKMS weiter vorantreiben, was sich Lorna auf der Bühne in London für alle Blutkrebspatienten erhoffte: „Ich wünschte, dass jeder das Happy End erleben dürfte, das wir bekommen haben.“