Sieben Wochen allein mit der Diagnose
Wegen Corona: Attinger konnte erst nach sieben Wochen richtig mit seiner Familie sprechen
Christian aus Atting hat Blutkrebs. Seine Diagnose erhielt der 53-Jährige zu Beginn der Corona-Pandemie Mitte März. Mit Verdacht auf Thrombose kam er abends in die Uniklinik Regensburg. Am nächsten Morgen erfuhr der zweifache Vater, dass er Leukämie hat. Sieben Wochen lang verbrachte er im Krankenhaus, ohne auch nur ein einziges Familienmitglied je in die Arme schließen und von Angesicht zu Angesicht über die schlimme Nachricht sprechen zu können. Denn Besuche waren aufgrund der Corona-Gefahr nicht erlaubt. Umso mehr genoss die gesamte Familie nun, dass Christian für 13 Tage zu Hause sein durfte.
„Er war keine drei Stunden daheim, da stand er schon auf dem Fußballplatz“, erzählt seine Tochter Saskia beim Telefonat mit der DKMS. „Zum Rasenmähen.“ Denn Christian ist in seiner Freizeit Trainer, Jugendleiter und Platzwart beim SC Rain. „Er kann nicht gut stillsitzen.“ Zudem war die Sehnsucht nach Natur und frischer Luft nach sieben Wochen Krankenhausaufenthalt unermesslich. „Als Papa jetzt zu Hause war, sind wir viel spazieren gegangen. Und haben endlich über alles geredet“, sagt die 22-Jährige erleichtert. „Ich war wie befreit“, bestätigt auch Christian. „Endlich konnten meine Familie und ich die Nachricht von meiner Erkrankung gemeinsam verarbeiten.“
Anfangs sei der Vater sehr blass gewesen, hatte viel abgenommen, wirkte eingefallen, erzählt die Tochter. „Jetzt sieht er wirklich gut aus. Er hat zugenommen und durch die Gartenarbeit ist er sogar ein bisschen braun geworden.“ Neben der Schock-Diagnose „Akute Lymphatische Leukämie“ bedeutet die Corona-Krise eine zusätzliche Belastung für die Familie. Sieben Wochen lang können die Eltern, Saskia und ihr 18-jähriger Bruder nur digital mit dem Vater über seine Erkrankung sprechen. „Ein Albtraum, aus dem man nicht aufwacht“, beschreibt die Tochter. Jeden Morgen geht ihr erster Blick auf das Handy. Prüfen, ob der geliebte Papa sich schon gemeldet hat. Hoffen, dass in der Nacht „nichts Schlimmes“ passiert ist. „Wir konnten zwar videotelefonieren. Aber er zeigte natürlich auch nur das, was er zeigen wollte. Die Zeit war sehr hart.“
Und: Corona-bedingt war auch kaum Ablenkung möglich. Christians Kinder studieren beide – und die Unis waren lange zu. Die Mutter (52) arbeitet im Einzelhandel – aber auch das Bekleidungsgeschäft, bei dem sie angestellt ist, war in den ersten Corona-Wochen geschlossen. Das Highlight der Woche für die gesamte Familie fand jeden Samstag statt, wenn Christians Wäsche auf dem Parkplatz vor der Klinik ausgewechselt wurde. „Eine Schwester kam dann immer mit der benutzten Wäsche zu uns herunter. Wir haben die frische übergeben, Papa dann angerufen und zu seinem Fenster hoch gewunken.“ Das Öffnen der Fenster ist an der Klinik nicht möglich.
„Zu Hause habe ich manchmal einfach nur auf der Terrasse gesessen und dem Vogelgezwitscher gelauscht“, erzählt Christian, der eigentlich Fertigungsmeister beim Autohersteller BMW ist. „Luft, Sonne und Licht – das alles habe ich in der Klinik so sehr vermisst.“ Wie immer sei er auch während der Krankenhaus-Pause früh aufgestanden, habe liegen gebliebenen Papierkram erledigt, viel gekocht. „Und Socken sortiert“, erzählt die Tochter lachend. Socken? „Papa hat bestimmt zwei oder drei Stunden einen ganzen Berg an Socken zusammengelegt. Bei uns macht das keiner!“
Die Familie hat die Klinik-Auszeit des Vaters in vollen Zügen genossen. „Wir haben Filmabende gemacht“ sagt Saskia. „Jede Fastfoodkette in der Umgebung abgeklappert. Viel gesprochen. Jetzt sind wir ganz anders auf die kommenden Wochen eingestellt. Ich weiß jetzt wieder: Papa ist ein Kämpfer, und wir schaffen das gemeinsam!“
„Die gemeinsamen Tage waren ein Geschenk“, findet auch Christian. Zu deren Abschluss müssen es unbedingt noch einmal Rossbratwürstchen zum Mittagessen sein, die lieben alle vier. „Wir haben für kurze Zeit so gelebt, als sei nichts falsch. Das hat uns allen Kraft gegeben.“
Die Familie hofft nun, dass sich bald ein Stammzellspender für Christian findet. Denn eine Spende ist seine einzige Überlebenschance. 1707 Freiwillige haben sich bereits in seinem Namen bei der DKMS registriert. Weitere Informationen unter dkms.de/de/better-together/christian-braucht-euch.