Ann-Selina feiert zweimal im Jahr Geburtstag
Zum diesjährigen World Blood Cancer Day (WBCD) am 28. Mai ruft Stammzellempfängerin Ann-Selina zur Registrierung auf: „Werde Stammzellspender:in! Mein passender Spender war glücklicherweise registriert, als ich ihn brauchte. Dank ihm darf ich leben.“
Ann-Selina Butzbach erkrankte 2013 an einem primär mediastinalen großzelligen B-Zell-Lymphom. Die Anzahl bekannter Patient:innen mit dieser Form des Non-Hodgkin-Lymphoms befindet sich damals weltweit im einstelligen Bereich. Nach diversen Chemotherapien, Bestrahlungen und der Teilnahme an einer Studie bleibt ihr zum Überleben nur eine Chance – eine Stammzelltransplantation. Zum Glück findet sich schnell ihr perfektes Match. Der passende Spender, ein junger Mann, hatte sich erst wenige Wochen zuvor bei der DKMS registriert.
Heute ist Selina, die ursprünglich aus der Nähe von Koblenz stammt, wieder gesund. Sie fährt leidenschaftlich gerne Motorrad, lebt zusammen mit ihrem Freund in Hamburg und hat erst vor Kurzem erfolgreich ihre Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau abgeschlossen. Die 25-Jährige steht mitten im Leben und blickt optimistisch in die Zukunft. Doch so sah es nicht immer aus. Im Alter von 16 Jahren erkrankt sie schwer. Es beginnt damit, dass ihr das Treppensteigen immer schwerer fällt. Sie bekommt kaum Luft und fühlt sich ständig schlapp. Ihr Hausarzt diagnostiziert eine tiefsitzende Bronchitis und behandelt sie medikamentös. Leider verspürt Ann-Selina keine Linderung. Als ihr linker Arm auf einmal auf die doppelte Größe anschwillt, geht es für sie mit Verdacht auf eine Thrombose ins Krankenhaus. Sie wird stationär in der nächsten Uniklinik aufgenommen und stundenlang untersucht. Die Ärzt:innen prüfen auch ihre Halslymphknoten. Dann werden Ann-Selina und ihre Eltern zum Gespräch gebeten. „Es war uns direkt klar, dass es nichts Gutes sein kann“, erinnert sich Ann-Selina.
Die Diagnose Blutkrebs ist ein Schock für die Familie. Die Erkrankung ist bereits so weit fortgeschritten, dass der Familie keine Zeit bleibt, um die Nachricht zu verarbeiten. Das Lymphom hat sich um Ann-Selinas Herz geschlungen, Lunge und Nieren befallen und reicht bis zum Beckenknochen. Die junge Frau wird noch in derselben Nacht notoperiert und auf die Intensivstation verlegt. Die OP sorgt für eine Entlastung des Herzens durch das Ablassen von Flüssigkeit und bringt zudem neue Erkenntnisse. Bei dem Krebs handelt es sich um eine besonders seltene Form des Non-Hodgkin-Lymphoms, einer bösartigen Erkrankung des lymphatischen Systems. Im Laufe weniger Monate unterzieht sie sich mehreren Chemo- und Bestrahlungstherapien. Die Aufnahme in eine Studie ermöglicht die bestmögliche Behandlung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Nach anfänglicher Besserung folgt im Frühjahr 2014 der nächste Schock: Ann-Selina hat einen Rückfall. Eine Stammzelltransplantation ist nun der letzte Ausweg. Dazu folgen zur Vorbereitung auf die Transplantation weitere Hochdosis-Chemotherapien und eine punktuelle Bestrahlung.
Nach den Torturen der vergangenen Monate hat Ann-Selina endlich Glück im Unglück: Zwölf verschiedene Personen kommen für die Transplantation in Frage, eine davon ist ein fast hundertprozentiges Match. Ein Ausnahmefall, der für die wenigsten Patient:innen eintritt. Noch immer findet jede:r zehnte Patient:in in Deutschland keine:n passende:n Spender:in. Ann-Selinas Transplantation findet in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober 2014 statt. Noch heute feiert die Familie diese zwei Tage als „Tag Null“, als den Augenblick, an dem ihr neues Leben begann.
Die ersten Wochen nach der Transplantation verlaufen schwierig. Ann-Selina ist bettlägerig, benötigt Morphin und muss sogar künstlich ernährt werden. „Eigentlich hatte man das Gefühl, dass sie nur dahinvegetiert“, sagen ihre Eltern. Doch Ann-Selina kämpft sich tapfer zurück ins Leben. Ihr Lebenswille siegt und schließlich wird sie aus dem Krankenhaus entlassen. „Ich habe mich sehr auf mein Zuhause, meine Freunde und die gewohnte Umgebung gefreut, aber ich musste jeden Tagesabschnitt neu für mich erobern“, erinnert sie sich. „Selbst zu essen war sehr ungewohnt, und an manchen Tagen lag ich nur in der Badewanne, weil ich mich dort am wohlsten fühlte.“
Seit 2015 ist sie krebsfrei. Der Weg zu einem gesunden Leben war für sie kein leichter und bis heute hat sie mit den Spätfolgen ihrer Erkrankung und der Behandlungen zu kämpfen. Trotz all der Strapazen ist sie dankbar, weiterleben zu können und schmiedet Zukunftspläne: Sie möchte reisen, am liebsten auf ihrem geliebten Motorrad. Und die Zeit mit ihrem Freund genießen. Das Leben geht sie optimistisch an, Angst vor einer erneuten Krebserkrankung hat sie keine: „Für den Moment ist es gut, dass ich gesund bin und dass ich mich nicht von negativen Gedanken belasten lasse. Ich vertraue darauf, dass mein Körper mir sagt, wenn etwas falsch ist.“
Ann-Selina ist dankbar für die Unterstützung, die sie erhalten hat. Ihre Familie und insbesondere ihre Eltern haben sie bei jedem Abschnitt begleitet, ebenso wie die Ärzt:innen und die Pflegekräfte, die in der schwierigen Zeit für sie da waren.
Ein besonderer Dank gilt ihrem Spender, den sie bereits kennenlernen durfte und mit dem sie sich regelmäßig austauscht. „Das perfekte Match rettete mein Leben. Die Übereinstimmung unserer Gewebemerkmale betrug fast hundert Prozent und auch im echten Leben verstehen wir uns sehr gut. Es kommt einem Wunder gleich, dass er sich erst wenige Wochen zuvor hatte registrieren lassen“, sagt Ann-Selina. „Deshalb möchte ich jede und jeden bitten, sich registrieren zu lassen! Wer sich heute in die DKMS aufnehmen lässt, kann vielleicht schon morgen zum Lebensretter werden!“
Sie wollen mehr zu der Geschichte von Ann-Selina erfahren? In unserem Youtube-Format „Mund auf!“ hat die junge Frau über die Erfahrungen gesprochen, die sie schon mit 16 Jahren machen musste, als sie an Blutkrebs erkrankte: youtube.com