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14. August 2018, News in Medizin & Forschung

Sport in der Krebstherapie

„Für den Körper gibt es keinen größeren Stress als Bewegungsmangel“

Die „AG Onkologische Bewegungsmedizin“ erforscht und erarbeitet individualisierte Trainingsprogramme nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die unmittelbar in das therapeutische Angebot der „Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie (OTT)“ aufgenommen werden. Die Inhalte berücksichtigen dabei typische Einschränkungen vor, während oder nach einer Krebstherapie. Die DKMS sprach mit Freerk Baumann über ganzheitliche Einflüsse auf den Körper, das richtige Maß an Bewegung und die positive Beeinflussung von Nebenwirkungen in der Krebstherapie. Priv.-Doz. Dr. Sportwiss. Freerk Baumann ist Leiter der AG Onkologische Bewegungsmedizin (gemeinsam mit PD Dr. Thomas Elter) an der Uniklinik Köln.

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    Priv.-Doz. Dr. Sportwiss. Freerk Baumann ist Leiter der AG Onkologische [...]

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Herr Dr. Baumann, was bewirken körperliche Aktivität und Bewegung in der Krebstherapie?

Zunächst ist die Differenzierung wichtig. Hinsichtlich des Bewegungsangebotes oder der Bewegungsintervention unterscheiden wir Zweierlei: Zum einen körperliche Aktivität im Sinne von Alltagsaktivitäten. Hier lautet unsere Empfehlung: Halten Sie die Alltagsaktivitäten aufrecht, machen Sie alles genau so, sofern möglich, wie Sie es vor der Krebsdiagnose gemacht haben. So können Bewegungsmangelerkrankungen verhindert werden. Das ist ein elementar wichtiges Ziel und das können Patienten von sich aus erreichen. Zum anderen gibt es neben diesen Alltagsaktivitäten die Bewegungstherapie. Diese wird von Physio- bzw. Sporttherapeuten durchgeführt und umgesetzt und zielt auf die Nebenwirkungen der medizinischen Therapie. Durch Bewegungstherapie können diese von vorneherein blockiert oder – falls bereits aufgetreten – reduziert werden. Die Nebenwirkungen der Medikamente können also positiv beeinflusst und die Lebensqualität des Patienten somit gesteigert werden.

Wie kann man sich das vorstellen?

Bewegung hat ganzheitliche Einflüsse auf den Körper, die Psyche und auch auf das Psychosoziale. Wir können krebsspezifische Nebenwirkungen auf diese Weise positiv beeinflussen und beobachten positive Aspekte auf zahlreiche konkrete Ziele. Exemplarisch will ich hier das Erschöpfungssyndrom nennen oder Polyneuropathien, das sind Sensibilitätsstörungen an Händen und Füßen – beides können wir positiv beeinflussen.

Welche Ziele stehen bei der Bewegungstherapie im Vordergrund?

Unser übergeordnetes Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten. Es gibt zahlreiche Studien, welche die positiven Effekte von Bewegung und körperlicher Aktivität abbilden. Mittlerweile können wir so exakt arbeiten, dass die genaue Definition der Ziele immer wichtiger wird. Hier muss der Patient helfen und gemeinsam mit uns im Dialog ein Ziel formulieren, damit wir fokussiert in diese Richtung gehen können. Das nennt sich dann „personalisierte Bewegungstherapie“.

Der Patient kann also sagen, welcher Effekt ihm am wichtigsten ist?

Ja, ganz genau. Das ist nicht mehr so wie früher. Noch vor einigen Jahren hat man einfach eine Walking-Gruppe gebildet und dann sind alle Patienten zusammen irgendwie losmarschiert. Heute können wir aus zahlreichen Methoden der Trainingsintervention und Bewegungstherapie ganz gezielt auswählen. Mit unterschiedlichsten Intensitäten, Inhalten und Regenerationsphasen können wir ein individuelles Programm maßschneidern. Wir klären genau darüber auf, welche konkreten Ziele der Patient erreichen kann. Da unterschiedliche Ziele unterschiedliche Herangehensweisen erfordern und wir nicht alle Ziele gleichzeitig erreichen können, muss der Patient uns nach der Aufklärung sagen, was ihm am wichtigsten ist. Nur so können wir gezielt auf diese Effekte hinarbeiten.

Welche Faktoren spielen bei der Definition der Maßnahmen eine Rolle?

Da ist natürlich an erster Stelle die Krebserkrankung als solche zu nennen. Die Art der Erkrankung zeigt uns auf, in welche Richtung die Entwicklung für den Patienten gehen kann und welche Risiken auftauchen können. Zum Beispiel besteht für Leukämie- und  Lymphom-Patienten, unter medizinischer Therapie und stationär aufgenommen, ein erhöhtes Risiko, eine Lungenentzündung zu bekommen. Also setzen wir hier gezielt an, indem wir ein Ausdauerprogramm in Kombination mit einer Atemtherapie durchführen. So trainieren wir den Patienten von vorneherein im Sinne einer Pneumonieprophylaxe.

Wie findet man bei den Patienten das richtige Maß der Belastung?

Die Trainingsgestaltung ist immer eine Herausforderung. Deswegen holen wir uns auch so viele Informationen wie möglich. Wir testen die Patienten sportphysiologisch und sportmedizinisch, wir benötigen das Blutbild, die letzten Arztbriefe und wir müssen wissen, wie ihre Medikation ist. Sind die Patienten unter medizinischer Therapie, benötigen wir außerdem die Information, welche Chemotherapeutika sie bekommen und wie die Zyklen der Chemotherapie konkret aussehen. Denn all das hat Einfluss auf die Bewegung und umgekehrt hat die Bewegungstherapie auch Einfluss auf diese Dinge. Deswegen sind wir immer im engen Dialog mit dem behandelnden Arzt.

Hat jeder Patient die Chance auf eine Sporttherapie?

Nein, in Deutschland leider noch nicht. Diese Versorgungsstrukturen werden gerade aufgebaut. Es sind bei weitem noch nicht alle Krebszentren, die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Bewegungstherapie anbieten. Erstens sind die verwertbaren Daten dazu noch zu jung und zweitens sind die Aus- und Fortbildungsstrukturen für die Therapeuten noch nicht angepasst worden. Deswegen haben wir an der Uniklinik in Köln die Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) gegründet. Hierher laden wir seit drei Jahren Sport- und Physiotherapeuten aus dem ganzen Bundesgebiet ein und schulen sie nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dennoch gilt für die Patienten nach wie vor: Die Möglichkeit zur Sporttherapie müssen sie sich selbst suchen und finden sie dabei leider viel zu oft nicht.

Welche Studien gibt es zu diesem Thema?

Nehmen wir als Beispiel Leukämie- und Lymphom-Patienten. Die sind sehr häufig von der Fatigue-Problematik* betroffen und zu diesem Thema gibt es eine große Metaanalyse aus dem letzten Jahr. In dieser Studie wurden verschiedene Krebspatienten unter medizinischer Therapie sowie in der Nachsorge gemessen und getestet. Die Ergebnisse sind deutlich: Die Bewegungstherapie ist im Vergleich zu einer medikamentösen Therapie ganz klar die wirksamere Methode um eine Fatigue-Problematik zu reduzieren. Körperliche Aktivität oder gezielte Trainingstherapie minimieren ein Fatigue-Syndrom von Beginn an und blocken seine Entwicklung – selbst unter einer hochdosierten Chemotherapie – erfolgreich ab. Auch eine schon bestehende Fatigue-Problematik kann so deutlich reduziert werden.

Warum hilft Sport- und Bewegungstherapie hier so gut?

Das ist eine gute Frage. Wir sind aber noch so weit, das beantworten zu können. Wir haben uns in den letzten Jahren vorwiegend mit Wirksamkeit und Effektivität auseinandergesetzt. Zum Warum gibt es zwar ein paar Theorien, aber wissenschaftlich Belegbares haben wir da noch nicht.

Welche Theorien sind das?

Insbesondere bei den Fatigue-Problematiken kann man beobachten, dass die Patienten einen erhöhten Entzündungswert haben und wir wissen, dass Bewegung eine antientzündliche Wirkung hat. Eine weitere Theorie bezieht sich auf den oxidativen Stress, also die sog. freien Radikale, die ebenfalls bei den Fatigue Patienten erhöht sind. Bewegung sorgt dafür, dass wir vermehrt Zellen ausschütten, die diese freien Radikale blocken und damit unschädlich machen.

Wie motiviert man Patienten dazu, sich neben der medizinischen Therapie auch noch körperlich zu betätigen?

Das zentrale Element und der erste Schritt in der Motivationskette muss der Arzt sein. Er muss dem Patienten klar zu verstehen geben, dass Bewegung sicher ist und er sich deswegen keine Sorgen machen muss. Gerade nach der Diagnosestellung sind Patienten verunsichert und haben ein erhöhtes Angstniveau. Sie ziehen sich zurück und bewegen sich weniger. Da sich Krebspatienten schon per se weniger bewegen als die Bevölkerung im Allgemeinen, ist die Gefahr von Bewegungsmangel hier besonders groß. Mit einer solchen Bewegungsmangelsituation haben die Kollegen in der Reha oft mehr zu tun, als mit den Auswirkungen der medizinischen Therapie. Um es klar zu sagen: Körperliche Schonung und Inaktivität sind das Risikoreichste, was der Patient machen kann. Es gibt für den Körper keinen größeren Stress als Bewegungsmangel. Das können wir anhand zahlreicher Daten belegen.

In welchen Situation oder Phasen sollte auf eine begleitende Sporttherapie verzichtet werden?

Bewegung ist grundsätzlich immer möglich, es kommt immer nur drauf an wie. Ansonsten hilft es, wenn wir unseren gesunden Menschenverstand einschalten. Als Beispiel: Wenn der Patient 40 Grad Fieber hat, dann fangen wir natürlich nicht damit an, ihn sporttherapeutisch auf ein Fahrrad-Ergometer zu setzen. Wenn der Patient blutet, dann fangen wir auch nicht an, mit ihm ein Bewegungsprogramm umzusetzen. Wenn es um die Umsetzung der allgemeinen Bewegungsinterventionen geht, dürfen wir das nicht zu „verwissenschaftlichen“. Neben diesen allgemeinen Kontraindikationen gibt es aber auch spezifische, die betreffen bestimmte Methoden. Zwei Beispiele: Wenn ein Leukämiepatient morgens seine Chemotherapie bekommen hat, kann ich mit dem schon am selben Nachmittag leichte bis moderate Bewegungsintervention auf dem Fahrrad-Ergometer umsetzen. Das ist kein Problem. Von einem anstrengenden Training sollte man in einer solchen Situation hingegen absehen, da die Wirkung der Chemotherapie dazu führen könnte, dass eine Herz-Rhythmus-Problematik auftaucht. Bei Patienten mit Thrombozytopenie würde man wiederum keine isometrischen Übungen durchführen, weil der Blutdruck dadurch zu hoch ansteigen würde.

Mit Bezug auf Sport in der Krebstherapie: Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Es gibt noch einige Ziele. Beispielsweise ist es im Moment so, dass wir wirksame Effekte beobachten, aber noch nicht konkret wissen, warum das so ist und dementsprechend das Programm noch nicht ganz optimal gestalten können. Da gibt es noch einige Aspekte, wo wir mehr Evidenz gewinnen wollen. Insgesamt haben wir aber schon so viele Daten zur Wirksamkeit auf Nebenwirkungen, dass wir jetzt die Versorgung vorantreiben müssen.

Unser nächstes großes Ziel ist also die Anerkennung bei den Kostenträgern. Onkologische Patienten sollen die Bewegungsprogramme in ihrem medizinischen Setting auch von vorneherein bekommen. Das ist der nächste Schritt, der jetzt erfolgen muss. Danach kämen dann die Anpassungen der Fortbildungsstrukturen für Physio- und Sporttherapeuten sowie für Ärzte. Diese Dinge verhandeln wir gerade mit den Krankenkassen.

Vielen Dank für das Interview.

*Fatigue oder Erschöpfungs-Syndrom nennt man eine quälende Form von Müdigkeit und tiefer Erschöpfung, die während und nach einer Krebserkrankung auftreten kann.

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