Marius über sein neues Leben nach der Transplantation
Er sagt: „Die Leukämie ist das Beste, was mir hätte passieren können“
Marius Kossmann aus Harpstedt erhielt mit 19 Jahren eine lebensverändernde Diagnose: Philadelphia Chromosom positiv – einfacher gesagt: Blutkrebs. Sechs Jahre nach der Stammzelltransplantation erinnert er sich an die bewegte Zeit und erzählt, wie die Krankheit seinem Leben eine neue Ausrichtung gab.
Im Frühjahr 2015 begann alles mit unspezifischen Symptomen: Marius bemerkt Schmerzen in der Schulter und im Oberkörper. Zu dieser Zeit studiert er Sport in Lübeck, arbeitet nebenbei in einem großen Fitnessstudio und deutet die Beschwerden als klassische Belastungserscheinungen: „Als Sportler kennt man seinen Körper ja recht gut. Man hat eine spezielle Ernährung, passt seinen Lebensstil an und lebt ja auch mit dieser gewissen Überzeugung, dass man fit und gesund ist“.
Doch die Schmerzen werden stärker, Marius nimmt regelmäßig Ibuprofen und lässt sich von seinem Hausarzt Infrarot gegen die angeblichen Muskelbeschwerden verschreiben. An Pfingsten besucht seine Mutter ihn in Lübeck. Marius wacht mit Grippesymptomen auf, ist nassgeschwitzt. Als er seiner Mutter die Tür öffnet, ist die geschockt vom Anblick ihres Sohnes und fährt sofort mit ihm in die Notaufnahme. Nach zahlreichen Untersuchungen und einer Verlegung in ein Krankenhaus in Marius‘ Heimat Bremen, erhärtet sich der Verdacht: Der damals 19-Jährige leidet an einer sehr seltenen Form der Leukämie, dem Philadelphia Chromosom positiv. Nur durch eine Stammzelltransplantation kann er langfristig überleben.
Doch Marius lässt den Kopf nicht hängen: „Ich saß vor meinem Chemotherapieplan und habe mir ausgerechnet, dass ich, wenn alles so läuft wie es sollte, an Heiligabend wieder gesund und transplantiert zu Hause sein kann – und das war ab dann mein großes Ziel“.
Es beginnt ein zäher und langwieriger Krankenhausaufenthalt. Marius, der vor seiner Diagnose regelmäßig Leistungssport betrieb, muss sich den Abläufen in der Klinik anpassen. Um einen Teil seiner Kraft und Ausdauer zu erhalten, engagiert er einen Physiotherapeuten und eine Yogalehrerin, die ihn regelmäßig im Krankenhaus besuchen und mit ihm trainieren. Die Chemotherapie beschert ihm schlechte Leberwerte, seine Mundschleimhäute entzünden sich und er muss Morphium nehmen. Doch Marius bleibt optimistisch: „Ich habe gedacht, dass die Chemo für mich noch schlimmer wird, aber durch das Morphium waren die Schmerzen aushaltbar. Ich glaube, dass mir mein aktiver Lebensstil vor der Krankheit dabei wirklich geholfen hat. Ich hatte das Gefühl, aktiv an der Bekämpfung der Leukämie mitarbeiten zu können“.
Um sich abzulenken veröffentlicht Marius seine Diagnose auf Instagram. Mit 2000 Followern teilt er bald seinen Alltag, postet Fotos von Krankenhausessen und berichtet über seine Therapiefortschritte. Zeitgleich startet bei der DKMS ein Registrierungsaufruf, denn Marius braucht immer noch einen passenden Spender oder eine passende Spenderin, um den Krebs endgültig zu besiegen. Daran, dass er einen findet, zweifelt Marius nie. So ist besonders bei seinen Eltern die Erleichterung groß, als Anfang August feststeht: Es gibt ein passendes „Match“!
Nach der Transplantation im November muss Marius in Quarantäne. Das Immunsystem wird in Vorbereitung auf die fremden Stammzellen heruntergefahren, um zu verhindern, dass der Körper sie wieder abstößt. Damit Marius in dieser kritischen Zeit nicht beispielsweise von Erkältungsviren geplagt ist, muss dieser sich völlig abschotten. Eine Hygieneschleuse trennt ihn vom Rest des Krankenhauses, Besuche von Freund:innen sind Tabu. Als dann auch noch die Leukozyten-Werte nicht wie erwartet steigen und damit sein Weihnachtsziel in Gefahr bringen, kommt für Marius der emotionale Zusammenbruch: „Meine Kraft war einfach weg, ich habe es vor allem daran gemerkt, dass ich auch kein Sport mehr getrieben habe. Ich hatte mich gedanklich schon völlig aufgegeben.“
Die Ärzte machen sich zunehmend Sorgen um Marius psychischen Gesundheitszustand und entscheiden sich, ausnahmsweise dessen Freunde ins Krankenhaus einzuladen, um ihn so etwas aufzuheitern. Das wirkt Wunder, die Leukozyten erhöhen sich und Marius verlässt pünktlich vor Weihnachten das Krankenhaus.
Nach sieben Monaten schwerer Krankheit schöpft Marius neue Energie: „Ich habe mich gefühlt, als hätte ich Bäume ausreißen können. Ich bin Fahrrad gefahren, durch den Wald gelaufen und habe all die Dinge gemacht, die ich so lang verpasst habe“.
Mit Blick auf sein Studium stand schnell fest, dass er nicht zurück nach Lübeck gehen möchte und so entschied er sich stattdessen für ein Politik-Studium in Bremen. Der Krebs war dabei richtungsweisend: „Ich habe durch diese Krankheit so viel über mich gelernt und mich sehr weiterentwickelt. Ich hatte viel Zeit, um mich selbst zu reflektieren und weiß deswegen mittlerweile, dass die Leukämie das beste ist, was mir hätte passieren können“.
Heute ist Marius 26 Jahre alt, gesund und in den letzten Zügen seines Masterstudiums. Wie es dann für ihn weiter geht, weiß er noch nicht. Neben einer beruflichen Neuorientierung hat der Blutkrebs für ihn aber noch mehr bereitgehalten: Den Kontakt zu seinem „Blutsbruder“ Pierre Tollet. Nach zwei Jahren anonymem Briefe schreiben nach der Stammzelltransplantation, trafen sich Spender und Empfänger zu einem Spiel ihrer jeweiligen Lieblingsfußballvereine – Fortuna Düsseldorf gegen Werder Bremen. Der Kontakt wurde enger, die beiden kommunizieren heute regelmäßig über WhatsApp und zum Geburtstag bekommt Marius jährlich Besuch von seinem Lebensretter Pierre.
Und noch mehr Gutes: Bei der Registrierungsaktion für Marius haben sich damals 1.852 Menschen in die DKMS aufnehmen lassen, von denen schon 15 selbst Stammzellen gespendet haben.
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