Ein Datum für die Ewigkeit
Stammzellspende und Hochzeit teilen sich den Jahrestag
Der 24. Juni 2015 ist es, an dem Nadine mit einer Stammzellspende das Leben von Hermann rettet. Und nur wenige Jahre später ist es wieder der 24. Juni, an dem Hermann als Ehrengast an Nadines Hochzeit teilnimmt.
Aber von vorne: 18 Jahre alt ist Nadine Pommer aus Dinklar, Hildesheim, als sie sich bei der DKMS als potenzielle Stammzellspenderin registriert. In Groß Ilsede, einem Dorf ganz in der Nähe, wird damals zur Registrierung aufgerufen und Nadine nimmt die Gelegenheit wahr. Eine Entscheidung mit lebensrettenden Folgen, wie sich später rausstellen wird. „Die Anfrage kam per Post, dass ich für jemanden infrage komme.“ Sie ist sofort dabei und freut sich, jemandem helfen zu können. „Aber meine Mutter meinte, ‚Freu dich nicht zu früh, bei den Voruntersuchungen kann vielleicht auch noch herauskommen, dass du doch nicht passend bist‘.“
Aber es geht alles gut. Schnell erhält die damals 21-Jährige den Termin zur Voruntersuchung. „Da wird sich ja so gut um einen gekümmert, das war richtig toll“, erinnert sie sich auch Jahre später noch. Damit die Stammzellspende reibungslos ablaufen kann wird vorher sichergestellt, dass die jeweiligen Spender*innen medizinisch topfit sind. Nadine ist rund um gesund und wird zur Spende zugelassen.
In Eulgem in Rheinland-Pfalz, etwa 400 km süd-westlich von Hildesheim, sorgt diese Entscheidung für großes Aufatmen: Es gibt eine Stammzellspenderin für Hermann. Der damals 65-jährige litt unter Leukämie und wartete auf seine zweite Lebenschance.
Währenddessen wird Nadine auf ihre Stammzellentnahme vorbereitet. Trotz Nadelangst sagt sie einer Spende aus dem peripheren Blut zu. Dabei werden die Stammzellen, ähnlich einer Blutwäsche, aus dem Blut gefiltert werden – ohne Narkose, dafür aber mit einer Nadel in jedem Arm.
Für Nadine keine leichte Situation, aber sie will ein Leben retten. „Ich habe ja auch einige Piercings, daher dachte ich, kann ich auch hierfür die Spritzen und Nadeln besiegen.“ Fünf Tage vor der Spende muss sie sich ein Wachstumshormon spritzen, um die Stammzellproduktion anzuregen. Weil sie sich mit ihrer Nadelangst selbst damit schwertut, bekommt sie Unterstützung von ihrem Vater. Doch ein paar Spritzen muss sie sich wohl oder übel selbst geben. Als das überstanden ist, liegt Nadine am 24. Juni im Entnahmezentrum in Köln und spendet ihre Stammzellen. Einen Tag später bekommt Hermann endlich seine langersehnte Stammzellspende. Nadines Fazit lautet am Ende sogar: „Ich würde es auf jeden Fall nochmal machen“. Denn Nadeln, Blut und Spritzen sind schnell vergessen, wenn man das Leben betrachtet, das sie mit ihrer Spende gerettet hat.
„Ich wusste, dass ‚mein Patient‘ ein Mann ist und dass er aus Deutschland kommt. Und natürlich habe ich gehofft, dass bei ihm alles gut ist.“ Immer wieder denkt sie an ihren genetischen Zwilling, ohne ihn überhaupt zu kennen. „Ich dachte, wenn es der genetische Zwilling ist: Sieht der mir ähnlich? Aber nein…“, Nadine lacht, „sieht er nicht“.
Das weiß sie, weil die beiden 2017 das erste Mal persönlich Kontakt aufnehmen dürfen: „Ich weiß noch, dass ich geschrieben habe, dass ich hoffe, dass es ihm gut geht“, sagt Nadine. „Er hat auch etwas ganz Liebes geschrieben: Herzlichen Dank für Ihre Spende, sie haben mir ein neues Leben ermöglicht. Ich erlebe wieder ein weitgehend normales Leben‘.“
Aus einem Brief wird ein Telefonat und daraus werden viele Telefonate. Schließlich ein erster Besuch im Sommer 2018. „Als wir ankamen, stand er auf seinem Balkon mit seiner Kamera, war aber zu nervös um Fotos zu machen“, Nadine lacht, als sie sich erinnert. „Wir waren gemeinsam mit seiner Familie in einem Restaurant essen. Er hat auch zur Kellnerin gesagt: ‚Hier, meine Lebensretterin.‘ Ich muss gar nicht gefeiert werden, aber das war schon süß.“
Jedes Jahr an Hermanns „zweitem Geburtstag“ telefonieren die beiden miteinander. Hermanns 70. Geburtstag feiern sie zusammen und besuchen sich auch, „um einfach Zeit miteinander zu verbringen“. Als bei Nadine schließlich die Hochzeitsglocken läuten ist sofort klar: Hermann soll dabei sein. Erst kurz vorher fällt Nadine dann plötzlich etwas ganz Besonderes auf. Das Datum ihrer Feier, der 24. Juni, „da war doch irgendwas…“. Ein „Riesenzufall“, sagt sie heute und denkt dabei an genau dieses Datum vor ein paar Jahren, vermutlich auch an ihre überwundene Spritzenangst, an den Spendentag oder an Hermanns Krankheitsgeschichte, die sie inzwischen kennt.
Vielleicht aber auch an ihren großen Tag: An die Sommerhochzeit am 24. Juni 2023 bei der Hermann dann wirklich ihr Ehrengast war. Ein besonderes Datum, das die genetischen Zwillinge wohl für immer verbinden wird.