„Quarantäne oder Isolierstation: Wichtig ist das Gespräch!“
„Nähe schaffen trotz Distanz“ lautet das Motto des bundesweiten Patiententags am 26. Januar 2021
Quarantäne war für viele Blutkrebspatient:innen schon lange vor der Coronapandemie ein Thema. Oftmals müssen sie während einer Therapie viele Wochen auf der Isolierstation verbringen. Wie ist menschliche Nähe trotzdem möglich? Und wie gelingt es, trotz räumlicher Trennung und einer schweren Diagnose, nicht die Hoffnung zu verlieren? Markus und seine Familie haben es geschafft.
Am 17. Februar 2020 erfährt Markus aus Heiden, dass sein Blut zu 95 Prozent aus Krebszellen besteht. Die schockierende Diagnose: Leukämie. Der damals 21-jährige Landwirt muss sofort ins Krankenhaus. Die Ärzte vermuten, dass nur eine Stammzelltransplantation sein Leben retten kann.
Noch ist vom deutschlandweiten Lockdown keine Rede, doch für Markus beginnt schon jetzt eine lange Zeit der Abgeschiedenheit: Auf der Isolierstation darf er wochenlang keinen Besuch bekommen, später dann nur ein Mal wöchentlich für eine Stunde. Der Grund: Damit die tägliche Chemotherapie die Leukämiezellen vernichten kann, muss sie sein gesamtes Immunsystem angreifen. Zu groß ist deshalb die Gefahr, sich in dieser Phase der Therapie mit Viren oder Bakterien zu infizieren. „Das war wirklich eine Extremsituation“, erinnert sich Markus. „Man fühlt sich körperlich schlecht und weiß nicht, wie es weitergeht. Und je mehr man dann auch noch alleine ist, desto mehr Zeit hat man zum Nachdenken.“
„Was heute unter dem Begriff Quarantäne in aller Munde ist, mussten viele Blutkrebspatient:innen rund um eine mögliche Stammzelltransplantation schon lange vor der Coronapandemie bewältigen“, weiß Dr. Klaus Röttger. „Und das über einen oftmals sehr langen Zeitraum.“ Als Psychoonkologe begleitet er Menschen, die an Krebs erkrankt sind, und bietet ihnen seelische Unterstützung an. „Auf den Heilungsprozess kann menschliche Nähe im richtigen Moment, und wenn die Patientin oder der Patient sie wünscht, sehr positiv wirken“, sagt Dr. Röttger, der freiberuflich in verschiedenen Krankenhäusern und Universitätskliniken tätig ist. Doch was tun, wenn Nähe plötzlich eine Gefahr darstellt und die Zeichen deshalb auf Distanz stehen, wie in der aktuellen Pandemie? „Kleine Berührungen oder eine Umarmung können natürlich sehr hilfreich sein, aber menschliche Nähe lässt sich auch anders erzeugen“, erklärt Dr. Röttger. Am wichtigsten sei für viele Patient:innen das Gespräch: „Die kleinen Gespräche mit der Familie, den Freunden, aber auch mit den Pflegekräften können sehr viel bewegen!“, so der erfahrene Experte.
So viel Normalität wie möglich
Während Markus auf der Isolierstation um sein Leben kämpft, rückt seine Familie zu Hause noch enger zusammen. „Wir haben uns gesagt: Das schaffen wir nur gemeinsam“, erzählt Markus Freundin Lara. „Da habe ich noch am selben Tag meine Katze unter den Arm genommen und bin bei seinen Eltern eingezogen.“ Auch wenn sie körperlich nicht bei ihm sein kann: In Gedanken weicht Lara ihrem Markus nicht von der Seite und sie telefonieren täglich mehrmals miteinander. Auch nachts, wenn er nicht schlafen kann, hat sie ein Ohr für ihn. Die ganze Familie nutzt auch die digitalen Möglichkeiten, um Markus nahe zu sein. Sonntags beim Familienfrühstück mit seinen Eltern und Großeltern, seinem Bruder und dessen Freundin und natürlich mit Lara, ist er per Videokonferenz zugeschaltet. „Es war mir unheimlich wichtig, so viel Normalität wie möglich zu haben und einfach weiter dazuzugehören“, erzählt Markus. Morgens und abends fachsimpelt er mit seinem Vater, in dessen landwirtschaftlichem Betrieb er arbeitet. „Ich wollte immer unbedingt wissen, was auf der Arbeit passiert war, um auf dem Laufenden zu bleiben.“
Die „richtigen Worte“
Gespräche können Trost spenden und Halt geben – doch wie findet man in einer so schwierigen Situation die richtigen Worte? „Ich mache oft die Erfahrung, dass es Patient:innen hilft, wenn sie mir über etwas Positives berichten können“, so Dr. Röttger. „Es ist manchmal nicht ganz einfach, zu ergründen, was das Positive für diesen individuellen Menschen, in dieser schwierigen Lebensphase, ist. Aber wenn wir es gemeinsam herausgefunden haben, bekommen ihre oder seine Augen plötzlich wieder einen Glanz.“ Doch auch ein ganz einfacher, freundlicher Small Talk könne für Patient:innen sehr schön und inspirierend sein und die Laune deutlich heben. „Manchmal fragen mich Pflegende, ob es denn richtig sei, in der Praxis oder der Klinik, ‚Small-Talk-mäßig‘ mit den Patient:innen zu sprechen. Die Antwort ist ganz einfach: ja sicher!“, betont der Psychoonkologe. Auch Lara hatte anfangs die Sorge, Markus gegenüber etwas Falsches zu sagen. „Ich wollte stark sein, damit Markus stark bleiben kann, und habe deshalb meine eigenen Sorgen vor ihm zurückgehalten“, berichtet die 22-Jährige. „Aber irgendwann haben wir darüber gesprochen und uns voreinander geöffnet. Anschließend konnten wir beide noch mehr seelische Nähe zulassen. Diese ganze Zeit der Distanz hat uns am Ende noch mehr zusammengeschweißt.“
Nicht jede:r Patient:in hat eine Familie und gute Freund:innen. Was empfiehlt Dr. Röttger denjenigen Menschen, die – konfrontiert mit einer schweren Diagnose – vermeintlich wirklich völlig alleine sind? „Sich öffnen und darüber sprechen, zum Beispiel mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften oder den Patientenfürsprecher:innen vor Ort“, sagt Röttger. „In fast allen Krankenhäusern haben Krebspatient:innen die Möglichkeit und auch das Recht darauf, psychoonkologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus gibt es auch Selbsthilfegruppen, an die man sich in einer solchen Situation wenden kann. Ein Beispiel ist die Selbsthilfegruppe Berg und Tal e.V., speziell für Patient:innen und ihre Angehörigen vor und nach einer Stammzelltransplantation.“
Markus rät allen Menschen, die sich in einer so schwierigen Lebensphase befinden, eindringlich: „Am allerwichtigsten ist es, die Hoffnung nicht zu verlieren. Irgendwann kommt wieder ein guter Tag!“ Bei ihm hat die Chemotherapie gut angeschlagen, eine Stammzelltransplantation war nicht mehr notwendig. Heute wohnt er endlich wieder bei seiner Familie – zusammen mit Lara und ihrer Katze, die beide geblieben sind. Als seine Mutter prophezeit, dass Markus und Lara „sicherlich irgendwann heiraten“, sagt er lächelnd: „Wenn uns das nicht getrennt hat, was sonst?“
Werden Sie Stammzellspender:in!
Auch jetzt, in diesem Moment, befinden sich Blutkrebspatient:innen auf Isolierstationen – und viele von ihnen sind noch auf der Suche nach eine:r passenden Stammzellspender:in. Sie können helfen! Registrieren Sie bei der Stammzellspenderdatei DKMS unter dkms.de.
Tag des Patienten
Patientenrechte stärken und zugleich Kliniken und Krankenhäuser ins Rampenlicht heben, in denen Patientenrechte und Patientendialog großgeschrieben werden – das ist das Ziel des seit 2016 jährlich stattfindenden, bundesweiten Tags des Patienten, ausgerufen vom Bundesverband für Patientenfürsprecher und dem Bundesverband der Beschwerdemanager in Gesundheitseinrichtungen. Weitere Informationen sind zu finden auf tagdespatienten.de.