Zwei Schwestern und ihr Kampf gegen Blutkrebs und für geschenkte Lebenszeit
Zum Weltgeschwistertag: Anna und Lisa über ihren gemeinsamen Einsatz für Patient:innen weltweit
Die Schwestern Lisa (30) und Anna (26) Dengler aus Pforzheim teilen ein trauriges Schicksal: Vor 14 Jahren starb ihre Mutter an Leukämie. Auch wenn sie durch eine Stammzellspende ein wenig mehr Lebenszeit geschenkt bekam, schaffte sie es schlussendlich leider nicht, die Krankheit zu besiegen. Aus eigener Erfahrung wissen sie, was es bedeutet, mehr Zeit mit einem geliebten Menschen zu bekommen. Daher setzen sie sich im besonderen Maße im Kampf gegen Blutkrebs ein und unterstützen die DKMS ehrenamtlich bei ihrer Aufklärungsarbeit. Als Lisa 2017 selbst Stammzellen spenden darf, beginnt für die jungen Frauen eine ganz besondere emotionale Reise.
Anna und Lisa sind zwei fröhliche, junge Frauen, die mitten im Leben stehen. Auch wenn ihr Lebensweg über einen langen Zeitraum steinig war und sie nach dem Tod ihrer Mutter getrennte Wege gehen mussten, sind sie seit einigen Jahren wieder vereint und engagieren sich gemeinsam für Blutkrebspatient:innen.
Die 26-jährige Anna macht gerade eine Ausbildung zur Bürokauffrau und arbeitet nebenbei selbstständig als Fotografin. Ihre ältere Schwester Lisa ist freiberufliche Selbstbewusstseinstrainerin. In ihrer Freizeit engagieren sich die jungen Frauen ehrenamtlich für die DKMS. Während Anna als Volunteer bei Schulaktionen Vorträge zum Thema Blutkrebs und Stammzellspende hält, erzählt Lisa von ihren Erfahrungen als Stammzellspenderin und klärt mögliche Vorbehalte auf.
„Die DKMS hat schon so vielen Menschen geholfen, wieder ins Leben zurückzukommen und die Krankheit zu besiegen. Es ist schön, dafür eintreten zu dürfen“, sagt Anna. Dass sie weiß, wovon sie redet, spürt man deutlich. Annas und Lisas Mutter Tine erkrankte selbst vor 14 Jahren an Blutkrebs. Obwohl es einen passenden Spender gab und Tine transplantiert wurde, ist sie zwei Jahre nach der Transplantation im Alter von 42 Jahren verstorben. „Die Arbeit der DKMS ist unfassbar wichtig. Wenn es Organisationen wie die DKMS nicht gäbe, hätten wir auch nicht die Chance gehabt, mehr Zeit mit unserer Mama zu verbringen“, sagt Anna. „Auch wenn es nur zwei Jahre waren – diese Zeit ist unbezahlbar.“
Nach dem Verlust kam die Trennung
Für die damals zwölfjährige Anna und ihre 16-jährige Schwester Lisa brach durch die Krankheit und den Tod der Mutter eine Welt zusammen. Anna musste zum gemeinsamen Vater in die USA ziehen, Lisa war alt genug das selbst zu entscheiden und blieb in Deutschland. Ohne die Möglichkeit, den Schmerz über den Verlust der Mutter zu verarbeiten, hieß es für die Schwestern erneut schmerzlich Abschied nehmen – dieses Mal voneinander.
Weggerissen von ihrem Freundeskreis und ihrer gewohnten Umgebung – am schlimmsten jedoch von ihrer älteren Schwester – musste Anna eine neue Sprache lernen und sich in einem fremden Land ein neues Leben aufbauen. „Durch meinen Umzug habe ich meine Schwester verloren und bin zu einem völlig entfremdeten Vater gezogen, den wir davor nur einmal im Jahr gesehen hatten“, sagt Anna. „Das war eine schwierige und intensive Zeit für mich. Alles war so fremd und neu.“
Auch Lisa, die in Deutschland bei ihrem Stiefvater blieb, hatte es in dieser Zeit schwer. Wenige Monate nach dem Tod der Mutter zerbrach die Beziehung zum Stiefvater. Sie musste lernen, eigenständig zu werden, einen eigenen Haushalt zu führen und für sich selbst zu sorgen. Auch Behördengänge, Anträge und ein verantwortungsvoller Umgang mit Geld – alles Dinge, die für einen Teenager ungewohnt sind, waren für sie plötzlich gegenwärtig.
Nach sieben Jahren wieder vereint
Es dauerte sieben lange Jahre, bis Anna wieder nach Deutschland zurückkam und die Schwestern wieder vereint waren. Obwohl es Anna nach einer Weile gut in Amerika gefallen hatte, wollte sie immer in die Heimat zurück. Mit 20 Jahren war es schließlich soweit. „Wir beide waren so froh, wieder zusammen zu sein“, sagt Lisa. „Als unsere Mutter noch lebte, hatten wir ein sehr inniges und tiefes Verhältnis zueinander. Natürlich haben wir auch gestritten und uns zwischendurch mal gehasst, aber das ist normal unter Schwestern. Durch die lange Trennung hatten wir uns auseinandergelebt und mussten erst wieder neu zueinander finden. In der Zwischenzeit war viel passiert und wir beide waren erwachsen geworden.“
Zurück in Deutschland zog Anna direkt zu Lisa in eine WG in Pforzheim. Schnell haben beide gemerkt, dass das problematisch ist und für Konflikte im Alltag sorgt. „Ich musste von Anfang an die Mutterrolle übernehmen und sie zurechtweisen. Das hat uns beide genervt. Wir hatten kein Geschwisterverhältnis mehr, sondern ein belehrendes Verhältnis“, erinnert sich Lisa. „Als Anna dann in eine andere WG zog und dadurch eigenständiger wurde, konnte ich wieder Schwester sein und unsere Beziehung nahm wieder normale Formen an. Die räumliche Trennung war für uns beide eine Erlösung und hat dazu geführt, dass wir endlich wieder zueinander gefunden haben.“
Lisas Stammzellspende hat die Schwestern 2017 dann noch enger zusammengeschweißt. Für beide ist es selbstverständlich anderen Menschen zu helfen – als potenzielle Stammzellspenderinnen registriert zu sein, gehört dazu. Anna registrierte sich 2014, als sie zurück in Deutschland war. Lisa ist seit ihrem 18. Geburtstag registriert.
„Als der Anruf kam, überkam mich im ersten Moment ein Gefühlschaos. Ich war so aufgeregt und konnte es gar nicht glauben“, sagt Lisa. „Als meine Blutprobe nach der Bestätigungstypisierung gezeigt hat, dass ich tatsächlich als Spenderin infrage komme, habe ich mich unglaublich gefreut. Die Spende selbst war total entspannt. Ich habe meinen Freund mitgenommen und mit ihm währenddessen Karten gespielt. Leider lief die Mobilisierung meiner Stammzellen etwas schleppend, sodass ich am nächsten Tag wiederkommen musste, um noch einmal zu spenden. Aber das war überhaupt kein Problem.“
Nach der Entnahme können Spenderinnen und Spender bei der DKMS anrufen, um erste anonyme Informationen zu der Patientin oder dem Patienten zu erfahren. „Das habe ich sofort gemacht, als wir im Auto saßen auf dem Weg nach Hause. Als es hieß, meine Spende sei für eine 45-jährige Frau aus Deutschland mit zwei Kindern, war ich überwältigt. Das hat mich dermaßen getroffen und in die schwere Zeit mit unserer Mutter zurückversetzt. Ich habe nur noch geweint“, erzählt Lisa mit zitternder Stimme.
Ein Jahr, bevor Lisa die Empfängerin hätte kennen lernen dürfen, ist sie leider verstorben. Die Nachricht hat beide Schwestern tief getroffen. „Bei diesem Thema kommt es auch bei mir immer hoch, weil man zwangsläufig an die eigene Situation denkt und genau weiß, wie wertvoll jedes weitere Jahr mit einem geliebten Menschen ist“, sagt Anna. Deswegen ist es für beide selbstverständlich und eine große Herzensangelegenheit, sich zusammen mit der DKMS im Kampf gegen Blutkrebs einzusetzen und ihre Geschichte zu erzählen – auch wenn es manchmal weh tut. Denn auch wenn die Stammzellspende keine Überlebensgarantie ist, ist sie eine Chance auf geschenkte Lebenszeit.